Das Prinzip Jo Ra Ku


 Hatori    01.06.2020 - 06:00
 Keine    Blog

Vorbereitung, Durchführung, Nachbereitung

Kurze Vorbemerkung: Das mag jetzt aussehen, als hätte ich bei meinem Lehrer abgeschrieben. Hab ich nicht, wir hatten nur beide dieselbe Idee, er war nur schneller mit der Veröffentlichung.

Obwohl kaum vorstellbar, erlebe ich hin und wieder noch Lehrer, die schon bei der Vorbereitung des Trainings versagen, sich nicht oder nur minimal auf eine Trainingseinheit vorbereiten. Was kommt dabei heraus? Meist ein relativ chaotisches Training, zusammenhanglos und oft sogar langweilig oder frustrierend für die Schüler.
Glücklicherweise werden diese Lehrer immer weniger, bei den meisten kann man beobachten, wie die Trainings durch gute Vorbereitung immer besser und intensiver werden. Woran liegt das?

Nun, es hat sich herumgesprochen, dass nicht nur die Vorbereitung wichtig ist, sondern auch und noch mehr die Nachbereitung, die Reflexion des Trainings durch den Lehrer. Was ist damit gemeint?
Der Lehrer sollte die meiste Zeit des Trainings in der Rolle des Beobachters verbringen und auf einige Dinge achten:
1. Trainieren die Schüler interessiert und konzentriert?
2. Sind individuelle Verbesserungen sichtbar?
3. Stehen möglicherweise Schüler gelangweilt auf der Matte?
4. Unterhalten sich Schüler statt zu üben?
5. Ist die geübte Technik dem Leistungsstand der Schüler angemessen?

Das sind nur einige Fragen, auf die sich der Lehrer während des Trainings Antworten geben sollte. Und diese Antworten nimmt er nach dem Training mit nach Hause und analysiert sie. Wir nehmen uns mal nur die fünf Beobachtunge vor, die oben aufgeführt sind.

1. Wenn ja - alles gut. Wenn nein - woran liegt es? Die Gründe können vielfältig sein. Oft jedoch liegt es an der Art und Weise, wie der Lehrer das Training durchführt. Man kennt das aus der Schule - bei dem einen Lehrer versteht man die Prozentrechnung nie, bei einem anderen sofort. Es geht weniger um das WAS sondern um das WIE.
Um dieses WIE zu verbessern, empfehle ich, nicht nur Seminare zu besuchen (dort trainiert man mehr selbst, achtet nicht so sehr auf das WIE des Lehrers). Geht als Lehrer hin und wieder in andere Dojos, ohne Gi, nur als Zuschauer, Beobachter. Achtet auf den Lehrer und die Reaktionen seiner Schüler. Schaut aufmerksam hin, wie der Lehrer seine Schüler motiviert, wie er das Training aufbaut und durchführt, kann er auch Euch als Zuschauer begeistern. Sollten die Schüler (und Ihr) nicht so reagieren, wie man es als Lehrer gern hätte, merkt Ihr zumindest, wie man es nicht machen sollte. Hinterfragt dann Euer eigenes Training. Macht Ihr es vielleicht genauso wie dieser Lehrer? Was kann er (und Ihr) anders, besser machen.
Im Idealfall sind die Schüler voll bei der Sache, dann seht genau hin, wie der Lehrer sein Wissen an die Leute bringt und lernt daraus für Euch.

2. Diese Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten, muss man doch dafür jeden Schüler für sich und nicht innerhalb der Gruppe betrachten. Manche lernen schneller, andere brauchen länger. Sollte sich jedoch ein zu großes Leistungsgefälle herausbilden, dann wird es schwer. Die einfache Lösung: Die Gruppe teilen. Hat man die Möglichkeit für eine zusätzliche Trainingseinheit, nehmt die leistungsstarken Schüler in ein Training, die schwächeren in ein zweites. Damit könnt Ihr das Training besser anpassen, alle lernen mehr. Aber wie so oft - die einfache Lösung ist nicht unbedingt die beste. Denn was wird passieren?
Die guten Schüler werden immer besser, sehr schnell, die schwächeren bleiben zurück, immer weiter und werden schließlich frustriert aufgeben, besonders dann, wenn sie sehen, wie gut die anderen inzwischen geworden sind. Das kann nicht der Sinn sein. Zudem fällt die Gruppendynamik weg, die durchaus hilfreich ist. Wenn schwache Schüler sich nur an ebenso schwachen orientieren können, kommt schnell sowas wie "Ich bin zwar schwach, aber von den Schwachen längst nicht der Schwächste" auf. Die Schüler orientieren sich nach hinten statt nach vorn, der Ehrgeiz bleibt auf der Strecke.
Der Gruppenzusammenhalt wird ebenfalls zerstört. Aus den Mitgliedern EINES Dojos werden ZWEI Gruppen - nicht gut. Die Mitglieder eines Dojos sollten eine Einheit bilden, eine "Familie". In der Familie hilft man sich gegenseitig, wenn einer stolpert, helfen ihm die anderen beim Aufstehen. So sollte es auch in einem Dojo sein. Lasst die Gruppe zusammen, lasst zu, dass sich die Schüler gegenseitig helfen. Achtet darauf, dass stärkere Schüler mit schwächeren trainieren, bringt regelmäßig Partnerwechsel ins Training. Es gibt einige Möglichkeiten, den Zusammenhalt zu stärken.

3. Kommt das einmal vor, ist das noch kein Grund zur Beunruhigung, jeder hat mal einen schlechten Tag. Sollte das aber regelmäßig der Fall sein, sprecht mit diesen Leuten. Findet heraus, ob es an Euerm Training liegt oder ob der / die Schüler andere Probleme haben. Ihr seid nicht nur Trainer, Ihr seid Lehrer und damit eine wichtige Vertrauensperson für die Schüler. Wenn sie Euch nicht vertrauen und ihre Probleme mit sich allein austragen wollen, wem sollen sie dann Vertrauen entgegenbringen? Und auch hier ist die Gruppendynamik zu beachten - habt Ihr einen gelangweilten, unaufmerksamen Schüler - völlig unabhängig von den Gründen - habt Ihr bald mehrere davon. Das Problem der Menschheit besteht nicht in zuwenig Leistungswillen, das Problem liegt darin, dass zu viele Menschen nur nach denen gucken, die hinter ihnen sind.

4. Hier muss der Lehrer sehr genau entscheiden, was er zulässt und was nicht. Einerseits stören Unterhaltungen während des Trainings, andererseits können sie auch sehr hilfreich sein. Besonders dann, wenn es den Schülern hilft, manches besser zu verstehen. Der erzählende Schüler findet möglicherweise Worte, die der zuhörende besser versteht als die des Lehrers, dann nehmt diese Hilfe dankend an. Erzählen sich die Schüler dagegen Witze - nun ja, muss auch mal sein, aber besser nach dem Training. Hört die Schwatzerei nicht auf, dann hilft auch mal eine zusätzliche Einheit Kniebeuge, Liegestütze und Situps, wenn die Luft dann dünn wird, hören die Unterhaltungen von selbst auf.

5. Hier hilft wieder nur genau beobachten, die stärksten UND die schwächsten Schüler. Als Lehrer ist man gezwungen, sich an den schwächeren Schülern zu orientieren. Um nun aber die stärkeren nicht zu unterfordern und somit zu langweilen, sollten die sich bereits über Henkas Gedanken machen während die anderen noch nach Densho üben.

Diese Betrachtungen solltest Du nach jedem Training durchführen. Ziehe Deine Schlußfolgerungen und - wenn nötig - ändere etwas im Training. Mit der Zeit wirst Du feststellen, dass sich vieles verbessert, die Schüler mit noch mehr Interesse dabei sind, sich bei den Schwächeren der Wille einstellt, sich nach vorn zu orientieren, bei den Starken die Bereitschaft zur Hilfestellung wächst. Aus den Mitgliedern wird eine Gemeinschaft deren Oberhaupt der Lehrer ist (sein muss). Mach Dir immer wieder bewusst, dass es kein Privileg ist, das Oberhaupt zu sein, sondern dass dieser Status in jedem Training erneut als gerechtfertigt bewiesen werden muss. Ohne diese Nachbereitung des Trainings, ohne die Reflexion dessen, was nicht gut, aber auch dessen, was gut war, wirst Du das Training nicht verbessern und mit der Zeit Deine Schüler verlieren. Wird dagegen Vorbereitung UND Nachbereitung gewissenhaft erledigt, ist die Durchführung überhaupt kein Problem mehr.

... mal drüber nachdenken ...