Aktuelle Trainingszeiten ab 13.10.2023
Dienstag - 19.00-20.45 Uhr
Freitag - 19.00-20.45 Uhr
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Oft werde ich gefragt, ob man im fortgeschrittenen Alter noch eine Kampfkunst erlernen kann ...
... und immer gibt es von mir ein klares, deutliches Ja, man kann. Ich habe mit dem Ninjutsu mit 32 Jahren angefangen, das war gleich nach der Wende in Deutschland. Zu DDR-Zeiten gab es das nicht, in der 5. Klasse habe ich mit Judo angefangen und das dann acht Jahre gemacht. Aber Judo ist ein (Leistungs)Sport, das krieg ich jetzt nicht mehr hin, wohl die wenigsten älteren Leute, zumindest dann nicht, wenn es mehr als eine Freizeitbeschäftigung sein soll. Und da ist er wieder - der Unterschied zwischen Kampfsport und Kampfkunst. Beim Sport geht es ums Gewinnen, der Zweite in einem Wettkampf ist schon der erste Verlierer. Bei der Kampfkunst dagegen geht es ums Leben. Ein simples "Gewinnen" wie im Sport gibt es weder im Leben noch in der Kampfkunst. Immer, wenn man ein Ziel erreicht hat, hat man gewonnen. Sei es nun eine einfache Reise, bei der man gesund das Ziel erreicht hat, sei es ein Job, den man unbedingt will, sei es die eigene oder (wenn man Lehrer ist) die Graduierung eines Schülers (wobei ich für meinen Teil an letzterem die meiste Freude habe), ganz egal - Ziel erreicht = gewonnen. Dafür gibt es keinen Pokal, keine Auszeichnung, nichts außer der eigenen Befriedigung und dem Wissen, man hat ein Ziel erreicht und kann auch das nächste erreichen ... und wieder das nächste und noch eins und ... Ihr wisst schon.
Selbstgesetzte Ziele erreichen zu wollen, liegt in der Natur der (meisten) Menschen und zwar völlig unabhängig vom Alter oder von körperlichen Handicaps. Warum also sollte jemand mit 40, 50, 60 oder noch älter nicht mehr mit der Kampfkunst anfangen können? Warum sollte ein körperliches Handicap jemanden hindern, die Kampfkunst zu erlernen. Ich sage nicht, es wird leicht, ich sage nur, es spricht nichts dagegen, es ist machbar für jeden. Ein guter Lehrer wird Alter und Einschränkungen in sein Training einbeziehen und genau das zu den Stärken der Schüler machen (schaut Euch dazu vielleicht die Geschichte vom Jungen mit einem Arm an). Nicht falsch verstehen - der Lehrer wird darauf keine Rücksicht nehmen, aber er wird Mittel und Wege finden, bestimmte Dinge zu umgehen, sie anders machen zu lassen ohne die Effektivität der Techniken dadurch zu mindern. Dafür muss der Lehrer jedoch wissen, was in bestimmten Fällen geht und was nicht, aber dazu etwas weiter unten, zunächst wollen wir auf den Grund für das Erlernen der Kampfkunst kommen.
Fangen wir mit dem offensichtlichsten Grund an. Stellt Euch vor, Ihr habt Schmerzen im Knie oder im Rücken (kenne ich beides leider zu gut). Ihr seid auf dem Weg nach Hause und genau jetzt erscheint der böse Bube und will Euer Geld, Euer Handy oder einfach nur Aggression ablassen. Gut, wenn er "nur" Eure Wertsachen will, gebt sie ihm, für materielle Dinge Gesundheit oder Leben zu riskieren, macht wenig Sinn. Aber wenn der einfach nur mies drauf ist und an irgend jemandem seinen Frust auslassen will, meint Ihr, Ihr könnt dem dann sagen: "Och nö, komm mal morgen wieder, heute hab ich Schmerzen in allen Körperteilen."??? Oder kokettiert Ihr mit Euerm Alter in der Hoffnung, der sucht sich dann ein anderes Ziel? Kann funktionieren, die Wahrscheinlichkeit tendiert jedoch gegen Null. Und da Ihr auch nicht weglaufen könnt, müsst Ihr kämpfen, es bleibt Euch keine andere Wahl. Denn mal ganz ehrlich, einem Typen, der seine Aggro loswerden will, dem braucht Ihr nicht mit Deeskalation kommen, das interessiert den mal so überhaupt nicht. Zunächst muss die Situation bzw. der Angreifer unter Kontrolle gebracht werden, dann kann man wieder zur Deeskalation übergehen.
Wer jedoch lange genug trainiert, gelernt und verstanden hat, der muss diesen Kampf oft gar nicht körperlich bestreiten. Oben angesprochene Typen, ob nun Straßenräuber oder Schläger suchen keine Gegner sondern Opfer. Wenn Eure Ausstrahlung und Körpersprache nun aber schon signalisiert "Pass auf mein Freund, mich anzugreifen könnte sich schnell als Fehler herausstellen", stehen die Chancen gut, dass Ihr einem (körperlichen) Kampf entgeht.
Dazu kommt, dass ältere Menschen deutlich mehr Lebenserfahrung haben (sollten). Ein wenig schauspielern bringt einem das Leben über die Jahre bei, diese Fähigkeit ist bei jungen Menschen oft deutlich geringer. Wer jedoch in der Lage ist, ein wenig Superman oder Pinocchio zu sein, Catwoman oder der Joker, wer also auf Knopfdruck in eine der jeweiligen Situation angepasste Rolle schlüpfen kann, der hat es deutlich einfacher. Und ja, auch das ist Kampfkunst, das wird nur gern vergessen oder verdrängt ... oder vom Lehrer nicht vermittelt. Die Möglichkeiten, welche eine echte Kampfkunst bietet, sind nahezu unbegrenzt - und nicht nur auf körperliche Auseinandersetzungen beschränkt.
Mit der richtigen Atemtechnik kann man auch die Unsicherheit beim Gespräch mit dem Personalleiter oder dem Chef angehen. Mit der richtigen Technik in den Bewegungen kommt man auch ohne anzuecken durch eine dichte Menschenmenge. In dem Wort Kampfkunst ist laut den Regeln der Grammatik "kunst" das Hauptwort in diesem zusammengesetzten Wort. Aber genau das wird viel zu oft geflissentlich ignoriert - meiner Meinung nach ein großer Fehler.
Ein Wort an die Lehrer
Bindet Euch mal einen Arm auf den Rücken und macht dann die Kihon Happo. Oder besorgt Euch eine Beinschiene, so dass Ihr ein Bein nicht beugen könnt und eventuell noch eine Krücke dazu, so dass ein Arm und ein Bein praktisch kaum nutzbar sind und macht dann die Kihon Happo (aber nicht aus Kumiuchi sondern gegen einen Angriff). Ich erdreiste mich jetzt mal zu behaupten, viele kriegen das nicht hin. Beweist mir das Gegenteil. Denn erst dann seid Ihr wirklich in der Lage, ältere Menschen oder Menschen mit Handicap zu unterrichten. Wer nicht nachvollziehen kann, wie sich das anfühlt, der kann darauf nicht eingehen. Lernt also zunächst einmal selbst, wie man sich mit eingeschränkten Körperfunktionen bewegen kann, seine Techniken anpassen muss und wenn Ihr das drauf habt, dann wird es Euch deutlich leichter fallen, Menschen mit weniger Beweglichkeit als der Euren zu unterrichten. Und Ihr werdet außerdem merken, dass diese Menschen dann auch viel mehr Freude am Training haben. Und nicht zu vergessen: Wenn Ihr irgendwann in die Lage kommt, ein Körperteil nicht mehr 100%ig nutzen zu können, dann wisst Ihr schon, wie Ihr trotzdem nicht wehrlos seid.